25. Dezember 2021

Das mit den neuen Ideen und Inspirationen ist bei uns kreativen Menschen so eine Sache: Wenn auch Vieles in der Ausarbeitung von Figuren, Stoffen und Texten handwerklich gut zu meistern ist, so sind wir doch von DER einen initialen Idee abhängig, die uns hoffentlich kommt, wenn wir sie brauchen. Sei es eine Figur, ein Thema, eine besondere Konstellation aus Charakteren oder eine bestimmte Szene, die sich vor unserem inneren Auge entfaltet – wir brauchen diesen einen Auslöser, diesen Keim, aus dem heraus sich ein neues Werk entfalten kann.

Und manchmal passiert das ganz unverhofft. Wenn einem eine entsprechende Idee kommt, wenn wir plötzlich eine neue Geschichte im Kopf haben, sprechen wir gerne im ‚klassischen Vokabular‘ davon, dass uns die Musen geküsst haben. Falls das jemand nicht kennt: Die neun Musen waren Töchter des Zeus‘ und der Mnemosyne und standen als Schutzgöttinnen der Künste den kreativen Menschen zur Seite. Laut „großem Wörterbuch der deutschen Sprache“ von DUDEN steht die Wendung „die Muse küsst jmdn.“ scherzhaft dafür, dass jemand die Inspiration zu einem dichterischen Werk hat.

Ob und wann uns geeignete Ideen kommen, können wir nicht bestimmen. Vielleicht können wir es durch äußere Rahmenbedingungen positiv beeinflussen oder stimulieren, z.b. durch bestimmte Orte, durch Rituale, mit Musik oder Ähnlichem (E.T.A. Hoffmann liebte hierfür den Punsch). De facto können wir es aber nicht erzwingen. Und die meisten Kreativen kennen wohl die Angst davor, dass irgendwann neue Ideen ausbleiben könnten. Eine absolut grausige Vorstellung.

Umso mehr erfüllt es mich jedes Mal mit Dankbarkeit, wenn ich neue Einfälle habe. So auch am 3. Dezember. Ein Freitag. Und um im Bild zu bleiben: An diesem Morgen haben mich die Musen nicht nur geküsst, sondern schier überfallen: Kalliope und Euterpe, zuständig für Dichtung bzw. Musik, hatten es gleich zu zweit auf mich abgesehen. In der Adventszeit läuft bei mir via Internetradio meist „Radio Weihnacht“. Und auf einmal sinnierte ich darüber, dass nach den Weihnachtsgeschichten vom kleinen Tannenbaum ein Weihnachtssong mal was wäre, … ja, ein Weihnachtssong, … es ist Weihnachtszeit … knirschender Schnee, durch den ich stapfe, … ein Song, in dem es um Familie geht, die sich stützt … um das Glück, das im Grunde wir alle suchen – egal ob arm, ob reich, ob fremd oder ein Freund … Es formten sich erste Bilder und Textfetzen in meinem Kopf – obwohl ich gerade im Bad stand und mich fertigmachen wollte. Die Gedanken überschlugen sich, und mit ihnen auch erste Tonfolgen, und ich konnte gar nicht schnell genug Papier und Stift zur Hand nehmen, um das alles festzuhalten. Ich setzte mich an den Küchentisch und skizzierte und notierte all das, was mir einfiel, ging zum Klavier, um die Themen auszuprobieren und hatte dann vor Arbeitsbeginn alles so weit fixiert, dass ich am Abend weitermachen konnte.

Das gesamte Wochenende arbeitete ich am Text und stimmte die englische Fassung schließlich mit den Melodien ab. Und am Sonntagabend waren die vier Strophen fertig. Auch die Melodien standen fest und waren für Klavier und Gesang notiert.

Von Anfang an hatte ich die Bilder von einem Animationsfilm in Schwarzweiß im Kopf: Ein Junge stapft singend auf die Kamera zu, während immer wieder in Einzelszenen Situationen des Textes eingeblendet werden. Zum Beispiel die in den Schnee versinkenden Füße, oder wie eine Familie spielend um einen Tisch oder gemeinsam auf der Couch sitzt. Auch eine Schlittenfahrt als Mittelteil, bei der der Junge dann u.a. Vögel aufscheucht, die singend über den Himmel flattern, sah ich vor mir. Die einzige Farbe sollte das Gelb der brennenden Lichter/Kerzen sein. Als Kontrast. Und darauf aufbauend sah ich als Schlusszene und passend zum Text, wie an der Kerze des Jungen andere Kerzen entzündet werden, sich das Gelb der Kerzen dann rasend schnell über die Kontinente ausbreitet und die Kontinente sich final zu einem leuchtenden Weihnachtsbaum verformen. Mit dem leuchtenden Weihnachtsbaum auf schwarzem Hintergrund endet das Lied.

So schön, so gut. Im Kopf war mir alles klar. Aber wie sollte ich das alles umsetzen?

Chris

Während ich die nächsten Tage mithilfe des Notationsprogramms finale die Orchestrierung der Musik ausarbeitete (wann immer es Arbeit und Familie zuließen), musste ich mich zusätzlich mit den Programmen von Adobe auseinandersetzen: Animation und Character. Mit Character und Photoshop erschuf ich „Chris“, meinen Protagonisten. Hinzu kam noch das Schnittprogramm daVinci Resolve, mit dem ich alles zusammenfügen wollte. Das hatte ich bereits für meine anderen Trailer genutzt.

Es wurde ein ziemlicher Ritt, denn die Zeit war knapp. Weihnachten ließ sich ja nicht verschieben. Doch es war längst zu einer fixen Idee von mir geworden, das Lied in diesem Jahr zu veröffentlichen. Zusammen mit dem Animationsfilm. Ich fand sogar ein Tonstudio, wo ich das Lied kurzfristig einsingen konnte. Denn ich besaß weder die Ausrüstung für eine Gesangsaufnahme, noch das nötige Knowhow, ein akzeptables Ergebnis hinzubekommen. Ich hatte nie vor, mich als Interpret zu etablieren oder Solokünstler für Popmusik zu werden. Ganz sicher nicht. Das ist nicht meins, und es gibt genügend Künstler*innen, die das ganz hervorragend machen und viel besser singen als ich. Aber so jemanden konnte ich aus zeitlichen wie finanziellen Gründen für dieses Projekt nicht einfach engagieren. Zudem musste es schnell gehen und es sollte ja eine jugendliche Stimme sein. Also musste ich selber ran, brauchte aber tontechnische Unterstützung.

Das Einsingen im Tonstudio war eine Erfahrung für sich. Ganz toll – wie auch ernüchternd. Es ist erschreckend, was man in einer Aufnahme alles an Ungenauigkeiten hört, die einem sonst nie auffallen würden. Nicht umsonst gibt es dafür Profis, die das gelernt haben. Aber gleichzeitig ist es auch beruhigend, wie weit die Technik inzwischen ist. Damit konnten nicht nur meine Ungenauigkeiten ausgebügelt, sondern auch meine Stimme im Klang erhöht werden (nachdem ich es extra vorab von G-Dur nach Es-Dur transponiert hatte, damit ich es überhaupt singen kann). Ohne diese Möglichkeiten hätte ich das Projekt einstampfen müssen. Das Ergebnis ist jetzt sicher nicht professionell, genügte mir aber als Untermalung zum Animationsfilmchen.

Doch an diesem Animationsvorhaben scheiterte ich letzten Endes. In der Kürze der Zeit und ‚nebenher‘ bekam ich doch nicht mehr alles zusammengesetzt. Also blieb nur der Weg, eine Slideshow mit atmosphärisch passenden Bildern zu erstellen und mit der Musik abzustimmen. Zum Glück hatte mir eine Kollegin unsplash.com gezeigt, wo Bilder für Webprojekte zu finden sind. So konnte ich das Video am 24. Dezember fertigstellen und auf Youtube hochladen. Die Eingangssequenz ist vom Animationsfilm genommen, aber der Rest und v.a. Chris müssen warten. Vielleicht bis zur nächsten Adventszeit.

Das Ergebnis dieses Weihnachtssong-Projektes findet ihr auf Youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=gxVK-KwCgM4

Schlussbemerkung: Wenn einen „die Musen küssen“, muss die Idee raus. Ich weiß nicht, inwieweit ihr so etwas kennt. Das kann wirklich hartnäckig sein. Und wenn man derartige Ideen beiseite oder auf später zu verschieben versucht, wird’s nicht besser. In diesem Fall gab es für mich gar keine Alternative, als den Weihnachtssong DIREKT fertigzumachen und online zu stellen. Auch wenn das einiges an Mut, Hartnäckigkeit und wenig Schlaf bedeutete. Das Ergebnis finde ich für eine so kurze Zeitspanne aber ziemlich gelungen. Selbst ohne Animationsfilm. 🙂

Und ihr?
Ich freue mich auf euer Feedback zum Song!

11. Dezember 2021

2.1 CLL – Das Ende?

„Wir brauchen den Lymphknoten nicht herausnehmen und untersuchen. Der Eingriff ist abgesagt. Sie haben chronische lymphatische Leukämie. Melden Sie sich demnächst bei den Kollegen in der Hämathologie. Die können Ihnen weiterhelfen.“ In ungefähr diesen Worten habe ich von meiner Diagnose erfahren. Am Telefon. Der Arzt von der HNO-Abteilung des Klinikums fasste sich geschäftig kurz und wünschte mir noch alles Gute, bevor er auflegte. Aufgabe erledigt.

Für mich jedoch brach eine Welt zusammen. Leukämie? Ich? Bis zu diesem Moment hatte ich gehofft, dass es nur irgendeine Infektion war, die ich mir in den Wintermonaten eingefangen hatte und die mir seit Wochen dicke Lymphknoten am Hals bescherte. Doch das?

Der Reihe nach: Ende 2018/Anfang 2019 hatte ich mich in eine Sackgasse manövriert. Sowohl bei der Arbeit als auch privat und vor allem mental: Durch eine Mischung aus übertriebenem Ehrgeiz, falschem Selbstverständnis, Überarbeitung, Beziehungsproblemen, dem Abhängig-Fühlen von den Meinungen anderer und einem vernachlässigten Ich, das so viele kreative Pläne hatte, aber im Alltag nicht dazu kam, sie umzusetzen, hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Und nicht mehr wollte. Wozu lebte ich überhaupt noch? Was sollte das Ganze? Wozu strampelte ich mich die ganze Zeit ab, wenn doch nichts dabei herauskam – nicht einmal etwas Anerkennung? Die Gedanken kreisten und kreisten. Und der Strudel zog mich immer weiter hinab.

Nachdem ich merkte, dass ich bei der Arbeit eigentlich nur noch da saß, mich nicht mehr konzentrieren konnte und bei den banalsten Widrigkeiten heimlich Tränen flossen, beschloss ich, mir Hilfe zu holen, und begann schließlich eine Therapie. Parallel dazu hatte ich verschiedene Termine beim Hausarzt, bei Fachärzten und in der HNO-Abteilung des hiesigen Klinikums. Denn seit Anfang des Jahres hatte ich geschwollene Lymphknoten am Hals. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie taten nicht weh, waren mir aber doch suspekt und gut sichtbar. Die Mandeln konnten es nicht sein, die waren mir schon vor Studienbeginn entfernt worden. Daher vermutete ich irgendeinen Infekt. Vielleicht ein Virus, das ich mir eingefangen hatte, und mit dem mein Körper zu kämpfen hatte. Eigentlich typisch für diese Jahreszeit.

Trotz verschiedener Untersuchungen blieb die genaue Ursache für die HNO-Ärzte jedoch im Dunkeln. Vermutungen gab es verschiedene, aber selbst eine Ultraschall-Untersuchung der Lymphknoten ergab kein konkretes Bild – außer, dass sie im Moment keine Gefahr darstellten. Immerhin. Aber sie wollten einen der Lymphknoten herausnehmen und genauer untersuchen. Ich bekam sogar recht kurzfristig einen Termin. Natürlich nicht ohne mir vorher sämtliche Gefahren und mögliche Folgen eines derartigen Eingriffs anhören zu dürfen.

Zwei Tage vor dem Eingriff kam dann der besagte Anruf (s.o.). Und da saß ich nun mit dieser Diagnose, bei der Arbeit, den Telefonhörer noch nicht aufgelegt und war erst einmal das heulende Elend. C… – was? Chronische lymphatische Leukämie? – Nie gehört. Aber „Leukämie“ hörte sich mies an. Ziemlich mies. Und nicht danach, dass ich mein Kind noch würde aufwachsen sehen. Zum Glück arbeitete ich zu jener Zeit mit einer Kollegin zusammen, mit der ich mich sehr gut verstand. Sie fing mich an diesem Tag auf und half mir, den ersten Schock zu überwinden.

In den nächsten Wochen sammelte ich Informationen über diese CLL. Ich hatte noch nie von dieser Krankheit gehört und musste feststellen, dass das Internet nur bedingt ein guter Ratgeber war. Es machte mich nur noch konfuser und panischer, was ich da las. Die CLL ist nicht heilbar. Und ich war viel zu jung dafür. Und je nach Seite und Forumsbeitrag waren die Informationen auch nicht immer aktuell. Wie sollte ich diese Flut an Infos richtig bewerten und filtern können? Mithilfe der Therapie, die mich ja eh begleitete, behielt ich wenigstens meinen Alltag im Griff, sodass ich nicht nur an die CLL und mein drohendes Ende dachte, sondern einigermaßen ‚normal‘ weiterarbeiten konnte.

Beim ersten Gesprächstermin in der Hämatologischen Ambulanz erfuhr ich dann, dass CLL die häufigste Leukämieform bei Erwachsenen in unseren westlichen Industrieländern ist (so fasst es auch die deutsche CLL Studiengruppe (https://www.dcllsg.de/) zusammen). Von einem der obersten Köpfe persönlich. Dank Zusatzversicherung, die ich in diesem Fall auch mal nutzen wollte. Gleichzeitig sei sie auch die besterforschteste und die am besten behandelbare Bluterkrankung. Es gebe inzwischen auch Alternativen zur Chemotherapie, zum Beispiel in Form von Tabletten, die ich täglich nehmen müsste. Mit diesen seien die Krankheit und ihre Symptome ganz gut in den Griff zu bekommen, erklärte er, nachdem er mich untersucht hatte. Da ich keine sonstigen Symptome aufwies, sollte ich mir also nicht zu viele Gedanken machen. Wir würden jetzt erst einmal abwarten und beobachten („Watch & Wait“). Ich sollte in ca. 3 Monaten wieder ein Blutbild machen lassen und in einem halben Jahr zur Kontrolle kommen. Dann würden sie entscheiden, wie es weitergeht und ob eine Therapie überhaupt schon notwendig wird. Noch Fragen?

Der überbordende Mangel an Emotionalität und Empathie bei dem Herrn mir gegenüber, auf dessen Audienz ich mehrere Stunden hatte warten müssen, ließ mich zukünftig den Zusatz „Chefarztbehandlung“ lieber unter den Tisch fallen. Er war bestimmt eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Und natürlich behielt er rückblickend recht und sein Team hat Tolles geleistet! Aber etwas mehr Eingehen auf mich und meine Situation hätte ich mir zu dem Zeitpunkt schon gewünscht. Schließlich hatte ich – im Gegensatz zu ihm – nicht tagtäglich mit diesem Thema und meiner Vergänglichkeit zu tun. Für mich war das alles fremd und ziemlich beängstigend. Zumal ich, statistisch gesehen, ca. 20 Jahre zu jung für diese Erkrankung war (das Alter bei Erstdiagnose liegt durchschnittlich bei ca. 70-75 Jahren). Und jetzt einfach so abwarten und nichts tun?
Aber genau das war der Plan.

… Fortsetzung folgt.

3. Dezember 2021

Ein Erfahrungsbericht in mehreren Teilen

Vorbemerkungen

Im Frühjahr 2019 wurde bei mir eine „Chronische lymphatische Leukämie“ (CLL) diagnostiziert. Das hat mir erst einmal den Boden unter den Füßen weggezogen. So, wie wohl den meisten, die plötzlich mit so einer Diagnose konfrontiert werden. „Leukämie“ klingt wie ein Todesurteil. Ein Urteil, das irgendjemand unvermittelt und unerwartet über mich gefällt hatte. Warum auch immer.

Zum Glück ist dem mittlerweile nicht mehr so: Die CLL ist keine aggressive Form der Leukämie und Dank des medizinischen Fortschritts recht gut behandelbar. Das sagten die Ärzte bereits bei den ersten Gesprächen – doch das einfach so zu glauben, fiel mir extrem schwer. Am Ende behielten sie dennoch recht: Seit Abschluss der knapp einjährigen Behandlungszeit (im Mai 2021) ist die CLL derzeit nicht mehr (akut) nachweisbar. Und es bleibt abzuwarten, wann und ob sie wieder in Erscheinung tritt.

Trotz dieses glücklichen Ausgangs waren die zwei Jahre seit der Erstdiagnose extrem anstrengend, zäh, ermüdend. Sie waren von zahlreichen seelischen Hochs und Tiefs begleitet – und lebensverändernd. Ich musste lernen, mit dieser Krankheit zu leben, die Behandlung irgendwie meistern. Zusätzlich zu Arbeit und Familie. Ich musste die CLL akzeptieren und damit klarkommen, obwohl es nicht auf alle Fragen eine klare Antwort geben konnte und gibt.

In den folgenden Blogartikeln skizziere ich, wie die verschiedenen Phasen der Diagnose und Behandlung bei mir verliefen, was ich selbst beigetragen habe und was mir in dieser Zeit geholfen hat. Mir hätte es seinerzeit gutgetan zu wissen, was auf mich zukommt – v.a. abseits von den ausführlichen Angaben darüber, was bei der Behandlung alles schiefgehen kann.

Von daher bin ich dankbar, durch meine Erfahrungen und Tipps anderen Betroffenen vielleicht helfen zu können. Ich möchte ihnen Mut machen und aufzeigen, dass es zwar zermürbend, aber schaffbar ist. Und dass sich das ständige ‚Durchhalten‘ lohnt.

Hinweis: Ich bin weder Mediziner noch Arzt. Meine Tipps und Vorschläge beruhen allein auf meinen persönlichen Erfahrungen und Versuchen. Ich übernehme daher keine Haftung oder kann gewährleisten, dass sie allgemeingültig funktionieren.

>> Weiterlesen bei »3 Buchstaben – eine Diagnose«

31. März 2019

Nachdem ich entschieden hatte, zum Entstehen meines mittelalterlichen »Lesungsbuches« (siehe hierzu meinen ausführlichen Blogbeitrag) auch eine kleine filmische Dokumentation zu machen (auf YouTube ansehen), stand für mich schnell fest: ich schreibe auch die Filmmusik dazu. Immerhin begleitet mich sinfonische Filmmusik seit meinem 12. Lebensjahr, hat mich bei meinen Kompositionen beeinflusst und war auch immer wieder Thema im Studium.

Hier nun eine kurze Zusammenfassung, wie ich die knapp vierminütige Musik zu meinem Film erarbeitet habe:

Grundgedanken

Im Mittelpunkt des Films steht ein großformatiges, in Leder gebundenes und mit Messingbeschlägen verziertes Buch. Gemäß diesem mittelalterlichen Sujet sollte nicht nur die Optik im Film stimmen (v.a. durch die verwendete Schriftart), sondern auch die Musik entsprechend klingen: alte Instrumente, viel Trommeln, einfache Melodien und Tanzrhythmen und eine Steigerung bis hin zum fulminanten Höhepunkt bzw. Schlussakkord.

Instrumentierung

Ich wählte daher eine Kombination aus Viola da Gamba, Bodhrán (traditionelle keltisch/irische Rahmentrommel) und verschiedenen Holzblasinstrumenten. Für den gewollt geheimnisvoll-düsteren Klang nahm ich Cello und Kontrabass in Kombination mit Pauken hinzu. Diese setze ich v.a. in der Exposition ein, während der Film erläuternde Texte ein- und wieder ausblendet.

Aufbau

Das Stück ist im 3/4-Takt angelegt. Es beginnt mit der besagten, langsamen Anfangssequenz (1. Thema) und leicht düsterer Cello-/Kontrabass-Melodik, die von Paukensoli unterbrochen wird. Das zweite Thema (Hauptthema) wird von der Viola da Gamba eingeführt, während sich das erste, leicht modifiziert, als Begleitung fortsetzt.

Im Film werden nach und nach die einzelnen Phasen und Schritte gezeigt, wie das Lesungsbuch entstanden ist. Dies spiegelt sich auch in der Musik wider: es kommen zunächst weitere Instrumente wie z.B. Oboe und Flöten hinzu, die das Thema fortführen und auch die Begleitung ausbauen, bis das Tempo anzieht.

Als Überleitung zu dem rascheren zweiten Teil der Musik und dem Film, in dem das Buch sein endgültiges Aussehen erhält (Entstehung der Messingbeschläge, Elektronik und Zusammensetzen) wechselt die Instrumentierung. Violinen kommen hinzu, während durch Rückung und Wiederholungen einzelner Phrasen die Musik dem zweiten Teil entgegen strebt. Dort wird das Hauptthema wieder aufgegriffen, diesmal aber mit umfangreicherer Orchestrierung und der markanten Bodhrán als trommelndes Tanzelement.

Die Schlussequenz hatte ich gedanklich als erstes ausgearbeitet: Während sich im Film die Kamera dem fertigen Buch und v.a. dem vorne eingelassenen Kristall nähert, sollte die Musik rasch anschwellen, durch Glissandi den optischen ‘Zoom’ hörbar machen und mit einem Schlussakkord enden, während zeitgleich der Stein rot aufleuchtet. Neben Gong, Kontrafagott und kurzem Paukenwirbel nutze ich für den speziellen Schlussklang v.a. die Bassposaune und lasse alles über sechs Takte ausklingen.

Klänge

Für diese kurze Filmmusik habe ich die Musiknotations-Software Finale (in der Version 25.2) verwendet. Sie bietet mir mit den enthaltenen Garritan Sounds (Originalaufnahmen der verschiedenen Instrumente) tolle Möglichkeiten, auch nahezu ‘echt’ klingende Musik am Computer zu orchestrieren und zu exportieren. So konnte ich recht leicht ausprobieren und verschiedene Klangkombinationen testen.

Zwei weitere Features von Finale habe ich dabei genutzt:

1. habe ich die “Basis Anschlagsstärke” (über die Wiedergabe-Einstellungen konfigurierbar) auf den Wert “71” hochgesetzt. Damit erziele ich eine eher ‘ruppigere’ Spielweise und rauere Klänge – insbesondere beim Cello und der Viola da Gamba.

2. kann ich über die Einstellungen des enthaltenen “ARIA-Players” bei den Klängen auch verschiedene Szenarien bzw. Örtlichkeiten vorauswählen, wo die Musik gespielt werden soll. Hier stehen neben kleineren Räumen für Kammermusik auch größere ‘Räume’ und Hallen zur Verfügung, z.B. Kirche und Kathedrale. Zuerst plante ich eine Kirche oder Kathedrale als ‘Aufnahmeort’, verwarf das aber wieder. In beiden klang die Musik zwar bombastisch und markant, wie ich es mir vorgestellt hatte, überlagerte sich aber auch. Und vor allem bei den schnelleren Sequenzen ging das alles in einen ‘Klangbrei’ über. Letzen Endes entschied ich mich dann für den “Film Score Space“, was für mich ja irgendwie naheliegend war.

Ergebnis

Insgesamt hat mich die Musik ca. 50 Stunden Arbeit gekostet. Es war nicht immer einfach, aber es machte mir auch großen Spaß, auf einer Idee aufbauend eine Einheit aus Inhalten, bewegten Bildern, Überblendungen und Musik zu schaffen. Und mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Die Musik hat sogar einen gewissen ‘Ohrwurm-Faktor’.  😉

Die fertige Filmmusik zum Film über “Mein Lesungsbuch” habe ich auf SoundCloud veröffentlicht. Ihr könnt die Musik aber auch in meiner Rubrik Kompositionen anhören.

Gefällt euch die Musik?
Dann freue ich mich auf euer Feedback oder auf Klicks und Likes bei SoundCloud, YouTube, facebook oder instagram.

Rüdiger

17. März 2019

Als Ergänzung zu meinen Autorenlesungen stelle ich hier die Entstehung meines ‘Lesungsbuchs‘ vor – ein mittelalterliches Buch, bei dem ich die Textseiten auswechseln kann.

Ausgangslage

Den Impuls dazu gab Cally Stronk auf der VIP Autorenkonferenz in Frankfurt (s. hierzu meinen Blogbeitrag), als sie deutlich machte, wie wichtig es v.a. beim Autorenmarketing sei, ein Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten, das außergewöhnlich sei, eine Geschichte habe und gut in Erinnerung bleibe.

Aus verschiedenen Gründen kam ich bei der Vorbereitung meiner Lesungen vor Weihnachten auf die Idee mit dem Buch – nicht zuletzt wegen meines Faibles für Fantasy und meinem Ziel, v.a. junge Leser und Zuhörer dafür zu begeistern, was so alles zwischen zwei Buchdeckeln stecken kann. Es sollte ein großes Buch werden, ein klassisches ‘Märchenbuch’, passend für verschiedene Kinderbücher und Fantasy-Romane, in Leder gebunden, mit Beschlägen – und einem leuchtenden Stein.

Doch so schnell sich die Idee auch geformt hatte: die Realisierung wurde im Detail kniffliger als geahnt. Dabei musste ich nicht nur die richtigen Materialien finden, sondern kam auch handwerklich an meine Grenzen.

Filmdoku

Wer es in Kurzform wissen möchte: Hier gibt es eine filmische Dokumentation »Mein Lesungsbuch«.

Entstehung

Nachfolgend nun eine Zusammenfassung der verschiedenen Komponenten und ihrer Entstehung.

Grundgerüst und Buchrücken: Die größte Herausforderung war, nicht nur einfach ein Buch mit großen Seiten zu binden, sondern ich wollte ja etwas, bei dem ich die Textseiten austauschen konnte. Einen ‘klassischen’ Ordner für Viererlochung hätte es sicher gegeben. Aber der wäre im A4-Format zu klein gewesen und hätte zu wenig nach richtigem Buch ausgesehen.
Bei Recherchen stieß ich auf Buchschrauben, die es in unterschiedlichen Längen gibt. Und damit ergab sich die Lösung: Zwei schmale zweireihige Lochbleche verband ich durch vier lange Buchschrauben im passenden Abstand. An der unteren Lochreihe schraubte ich dann jeweils Leistenscharniere (Klavierscharnier) an, die ich auf die richtige Länge kürzte. Dazwischen kamen die Längsseiten eines maschigen Alublechs, mit dem ich vorher den Buchrücken formte und oben und unten durch Umknicken verstärkte. Zwei weitere, ca. 1,5 cm breite Alublechstreifen befestigte ich mit Draht auf dem Buchrücken, um die dicke Buchbindung nachzuempfinden, die mittelalterliche Bücher so markant machen.

Buchdeckel: Für die Buchdeckel habe ich mir im Baumarkt aus leichtem, aber nicht zu dünnem Holz ein Brett ausgesucht und zwei Stücke im A3-Format zuschneiden lassen. Diese erhielten, passend zu den Scharnieren, kleine Bohrlöcher und jedes Loch eine zusätzliche Vertiefung, damit die Muttern möglichst im Holz versenkt werden können.
Vorne auf das Buch plante ich eine Fassung mit einem großen Kristall, der von innen beleuchtet werden kann. Im Vorderdeckel bohrte hierfür ich ein größeres Loch an passender Stelle. Zudem schabte ich eine Vertiefung zwischen diesem Loch und der Innenkante ein, um hier die Kabel einlegen zu können. Mittels kleiner Schrauben und Muttern befestigte ich schließlich die Holzdeckel dann am Grundgerüst.

Ledereinband: In heutiger Zeit sind Geschäfte, wo es einzelne kleinere und größere Lederstücke und Lederbänder zu finden gibt, rar geworden. Online bestellen wollte ich nicht, da ich mir das Leder ansehen, es anfühlen wollte um entscheiden zu können, ob es zu meiner Idee passt oder nicht. Zum Glück habe ich dann ein Geschäft in Heidelberg gefunden, das auch Angebote für Mittelalter und LARP-Fans hat. Dorthin habe ich meine Buch-Konstruktion mitgenommen, wurde toll beraten und bekam schließlich ein weiches Leder zugeschnitten, das meinen Vorstellungen entsprach und das ich problemlos mit Buchbinderleim aufziehen konnte. Das Drahtgeflecht am Buchrücken habe ich dafür zunächst mit Stoff bezogen und an der Innenseite mit Papier verkleidet, damit man das Metall nicht mehr sieht und das Leder besser hält. Interessanter Nebeneffekt: Sowohl die kleinen Muttern als auch die Verstärkungen am Buchrücken zeichnen sich durchs Leder ab und lassen das Buch auf den ersten Blick noch authentischer wirken.

Messingbeschläge: Bei einer Online-Recherche war ich schnell auf einen Buchbinder gekommen, der auch mittelalterliche Buchbeschläge anbietet. Die sehen toll aus und entsprachen genau dem, was ich mir vorgestellt hatte. Doch da das alles Einzelanfertigungen sind und ich für ein vollständiges Buch mehrere Plättchen und Buchecken brauche, überstieg diese Variante deutlich mein geplantes Budget. Also blieb mir nur die andere Variante: ab in den Baumarkt, Messingblech besorgen und Beschläge selber machen. Das war allerdings leichter gedacht und gezeichnet als umgesetzt – in den ersten Tagen produzierte ich auch prompt Ausschuss, bis ich den Dreh endlich ‘raus hatte, wie ich mit den mir zur Verfügung stehenden Werkzeugen die Ornamente gleichmäßig hinbekomme, ohne die Ecken und Bleche zu perforieren. Und nach einiger Übung hat es glücklicherweise dann auch geklappt.

Kristall: Von Anfang an war klar, dass vorne auf das Buch eine Blende mit einem Stein kommen sollte. Dabei war es gar nicht so einfach, ein Kristall-Imitat in der richtigen Größe zu finden. Und sollte ich gleich einen farbigen nehmen? In Rot oder Grün? Beide Farben hätten zu dem Buch gepasst. Da ich aber mein Lesungsbuch für unterschiedliche Texte nehmen möchte und es nicht passen würde, wenn es in einem Fantasyroman um einen grün schimmernden Stein geht, ich dann einen roten vorne drauf habe, ging das so nicht. Letzten Endes entschied ich mich für einen klaren Stein, den ich von unten/innen unterschiedlich beleuchten wollte. Das würde zwar keine so schönen Farben ergeben, machte das Lesungsbuch aber flexibler.
Um den Stein in das Ornamentblech einsetzen zu können, musste ich ihn unten flach absägen, da ich die Spitze, die diese Acrylglas-Kristalle haben, nicht gebrauchen konnte.

Geheimfach: Das Buch war zunächst in einer Dicke von vielleicht vier Zentimetern gedacht gewesen, sodass ich ausreichend Seiten einlegen konnte. Durch die Grundkonstruktion war ich aber einerseits von den verfügbaren Buchschrauben abhängig, andererseits sah es bei genauerem Überlegen etwas ‘mickrig’ aus: ein A3-formatiges Buch und dann nur so dünn? Das gefiel mir allein von der Vorstellung her schon nicht. Schließlich sollte das Buch wirken und etwas hermachen. Also bestellte ich die langen Buchschrauben – bekam dadurch aber das Problem, den ‘Innenraum’ auffüllen zu müssen. Mit Papier. Hunderte Seite. Im Großformat. Das bedeutete ein Papiergewicht, das nicht mehr tragbar war (im wahrsten Sinne des Wortes).
Glücklicherweise hatte ein Freund und Arbeitskollege von mir die rettende Idee: Ein Geheimfach. Das füllt das Buch innen auf und gibt mir gleichzeitig die Gelegenheit, Sachen zu ‘verstecken’, die ich während der Lesung eh verwende: eine kleine Eule, Karten mit Szenenbilder im A4-Format usw. Zudem ist es ein idealer Ort, um die Elektronik für den Kristall unterzubringen.

Elektronik: Eine ganz unerwartete Herausforderung stellte die Beleuchtung des Steins dar. Zunächst wollte ich den einfach nur leuchten lassen können. Dann kam mir aber die Idee, dass es wohl praktisch wäre, ihn – je nach späterem Text und passend zur Geschichte – unterschiedlich leuchten lassen zu können. Wenn ich schon eine Beleuchtung einbaute und den Aufwand betrieb, dann wollte ich auch flexibel bleiben.
Ich entschied mich für die Farben Rot, Grün, Blau und Weiß. Dazu suchte ich mir passende Leuchtdioden/LEDs raus, die allerdings ziemlich klein sein mussten, damit die auf engstem Raum unter den Stein passten. Da meine Schulzeit auf dem Technischen Gymnasium viele Jahre her ist, brauchte ich zunächst einige Recherchen, um die Schaltung planen zu können. Dann musste ich auch ein paar mal in den Elektronikfachhandel, bis ich alles zusammen hatte. Das Ergebnis: Ausgehend von einer 9V-Batterie kann ich mithilfe eines kleinen Umschalters und einem größeren Ein-/Aus-Schalter die jeweils gewünschte LED leuchten lassen. Die notwendigen Widerstände und Schalter lötete ich auf eine kleine Platine, die ich im vorgesehenen Fach versteckte. Der Kippschalter kam so ins Geheimfach, dass ich ihn von außen betätigen kann. Um das Geheimfach tatsächlich herausnehmen zu können, habe ich einen mehrpoligen Steckverbinder integriert. Nach einiger Fummelei saß endlich alles an seinem Platz. – Doch der erste Test mit dem Kristall war vernichtend: zwar konnte ich das Licht an- und ausschalten und getrennt davon die Farbe wählen, doch der Stein war viel zu grell. Ich hatte zu helle LED gewählt, was durch den Schliff des Kristalls partiell noch verstärkt wurde. Ich konnte locker das Zimmer damit einfärben …
Nach zwei Tagen Zwangspause und Nachdenken darüber, ob ich noch einmal von vorne beginnen sollte und das halbe Buch wieder auseinandernehmen musste, kam mir die Idee: Ich baute zwischen LEDs und Kristall einfach einen mattweißen Kunststoff ein, der das Licht dämmte und zusätzlich dem Kristall Halt gab.

Inhaltsseiten: Als das Buchgerüst komplett fertig war, ging es abschließend noch an die Inhaltsseiten. Diese ließ ich auf A3-Format vergrößert ausdrucken. Um die Lochung hinzubekommen, platzierte ich vorher im abgemessenen Abstand vier Lochmarken auf den Seiten. Dummerweise gab es eine Abweichung zwischen Layout, Vergrößerung und Ausdruck (passte die Ränder an), was dazu führte, dass bei der Hälfte der Seiten die Lochung nicht ganz stimmte.
Schließlich hatte ich aber für meine Lesungen die beiden Buchtexte vom »Märchen vom kleinen Weihnachtsbaum« und »Der kleine Tannenbaum und der Schneemann« fertig gelocht und zugeschnitten vor mir liegen. Der abschließende Schritt war dann nur noch: Buchschrauben aufdrehen, stapelweise die Seiten einsetzen, Buchschrauben wieder zudrehen … und einsatzfertig war mein Lesungsbuch.

Abschließende Bemerkung: Das Projekt hat in über zwei Monaten insgesamt ca. 80 Stunden verschlungen und bedeutete so manche lange Abende in der Werkstatt, da alles ‘nebenher’ laufen musste. Das Ergebnis allerdings zeigt mir: die Arbeit hat sich gelohnt. Das Buch ist ein Hingucker.

Jetzt muss es sich nur noch bewähren … 😉