CLL: 3 Buchstaben, eine Diagnose – Teil I/III

2.1 CLL – Das Ende?

„Wir brauchen den Lymphknoten nicht herausnehmen und untersuchen. Der Eingriff ist abgesagt. Sie haben chronische lymphatische Leukämie. Melden Sie sich demnächst bei den Kollegen in der Hämathologie. Die können Ihnen weiterhelfen.“ In ungefähr diesen Worten habe ich von meiner Diagnose erfahren. Am Telefon. Der Arzt von der HNO-Abteilung des Klinikums fasste sich geschäftig kurz und wünschte mir noch alles Gute, bevor er auflegte. Aufgabe erledigt.

Für mich jedoch brach eine Welt zusammen. Leukämie? Ich? Bis zu diesem Moment hatte ich gehofft, dass es nur irgendeine Infektion war, die ich mir in den Wintermonaten eingefangen hatte und die mir seit Wochen dicke Lymphknoten am Hals bescherte. Doch das?

Der Reihe nach: Ende 2018/Anfang 2019 hatte ich mich in eine Sackgasse manövriert. Sowohl bei der Arbeit als auch privat und vor allem mental: Durch eine Mischung aus übertriebenem Ehrgeiz, falschem Selbstverständnis, Überarbeitung, Beziehungsproblemen, dem Abhängig-Fühlen von den Meinungen anderer und einem vernachlässigten Ich, das so viele kreative Pläne hatte, aber im Alltag nicht dazu kam, sie umzusetzen, hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Und nicht mehr wollte. Wozu lebte ich überhaupt noch? Was sollte das Ganze? Wozu strampelte ich mich die ganze Zeit ab, wenn doch nichts dabei herauskam – nicht einmal etwas Anerkennung? Die Gedanken kreisten und kreisten. Und der Strudel zog mich immer weiter hinab.

Nachdem ich merkte, dass ich bei der Arbeit eigentlich nur noch da saß, mich nicht mehr konzentrieren konnte und bei den banalsten Widrigkeiten heimlich Tränen flossen, beschloss ich, mir Hilfe zu holen, und begann schließlich eine Therapie. Parallel dazu hatte ich verschiedene Termine beim Hausarzt, bei Fachärzten und in der HNO-Abteilung des hiesigen Klinikums. Denn seit Anfang des Jahres hatte ich geschwollene Lymphknoten am Hals. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie taten nicht weh, waren mir aber doch suspekt und gut sichtbar. Die Mandeln konnten es nicht sein, die waren mir schon vor Studienbeginn entfernt worden. Daher vermutete ich irgendeinen Infekt. Vielleicht ein Virus, das ich mir eingefangen hatte, und mit dem mein Körper zu kämpfen hatte. Eigentlich typisch für diese Jahreszeit.

Trotz verschiedener Untersuchungen blieb die genaue Ursache für die HNO-Ärzte jedoch im Dunkeln. Vermutungen gab es verschiedene, aber selbst eine Ultraschall-Untersuchung der Lymphknoten ergab kein konkretes Bild – außer, dass sie im Moment keine Gefahr darstellten. Immerhin. Aber sie wollten einen der Lymphknoten herausnehmen und genauer untersuchen. Ich bekam sogar recht kurzfristig einen Termin. Natürlich nicht ohne mir vorher sämtliche Gefahren und mögliche Folgen eines derartigen Eingriffs anhören zu dürfen.

Zwei Tage vor dem Eingriff kam dann der besagte Anruf (s.o.). Und da saß ich nun mit dieser Diagnose, bei der Arbeit, den Telefonhörer noch nicht aufgelegt und war erst einmal das heulende Elend. C… – was? Chronische lymphatische Leukämie? – Nie gehört. Aber „Leukämie“ hörte sich mies an. Ziemlich mies. Und nicht danach, dass ich mein Kind noch würde aufwachsen sehen. Zum Glück arbeitete ich zu jener Zeit mit einer Kollegin zusammen, mit der ich mich sehr gut verstand. Sie fing mich an diesem Tag auf und half mir, den ersten Schock zu überwinden.

In den nächsten Wochen sammelte ich Informationen über diese CLL. Ich hatte noch nie von dieser Krankheit gehört und musste feststellen, dass das Internet nur bedingt ein guter Ratgeber war. Es machte mich nur noch konfuser und panischer, was ich da las. Die CLL ist nicht heilbar. Und ich war viel zu jung dafür. Und je nach Seite und Forumsbeitrag waren die Informationen auch nicht immer aktuell. Wie sollte ich diese Flut an Infos richtig bewerten und filtern können? Mithilfe der Therapie, die mich ja eh begleitete, behielt ich wenigstens meinen Alltag im Griff, sodass ich nicht nur an die CLL und mein drohendes Ende dachte, sondern einigermaßen ‚normal‘ weiterarbeiten konnte.

Beim ersten Gesprächstermin in der Hämatologischen Ambulanz erfuhr ich dann, dass CLL die häufigste Leukämieform bei Erwachsenen in unseren westlichen Industrieländern ist (so fasst es auch die deutsche CLL Studiengruppe (https://www.dcllsg.de/) zusammen). Von einem der obersten Köpfe persönlich. Dank Zusatzversicherung, die ich in diesem Fall auch mal nutzen wollte. Gleichzeitig sei sie auch die besterforschteste und die am besten behandelbare Bluterkrankung. Es gebe inzwischen auch Alternativen zur Chemotherapie, zum Beispiel in Form von Tabletten, die ich täglich nehmen müsste. Mit diesen seien die Krankheit und ihre Symptome ganz gut in den Griff zu bekommen, erklärte er, nachdem er mich untersucht hatte. Da ich keine sonstigen Symptome aufwies, sollte ich mir also nicht zu viele Gedanken machen. Wir würden jetzt erst einmal abwarten und beobachten („Watch & Wait“). Ich sollte in ca. 3 Monaten wieder ein Blutbild machen lassen und in einem halben Jahr zur Kontrolle kommen. Dann würden sie entscheiden, wie es weitergeht und ob eine Therapie überhaupt schon notwendig wird. Noch Fragen?

Der überbordende Mangel an Emotionalität und Empathie bei dem Herrn mir gegenüber, auf dessen Audienz ich mehrere Stunden hatte warten müssen, ließ mich zukünftig den Zusatz „Chefarztbehandlung“ lieber unter den Tisch fallen. Er war bestimmt eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Und natürlich behielt er rückblickend recht und sein Team hat Tolles geleistet! Aber etwas mehr Eingehen auf mich und meine Situation hätte ich mir zu dem Zeitpunkt schon gewünscht. Schließlich hatte ich – im Gegensatz zu ihm – nicht tagtäglich mit diesem Thema und meiner Vergänglichkeit zu tun. Für mich war das alles fremd und ziemlich beängstigend. Zumal ich, statistisch gesehen, ca. 20 Jahre zu jung für diese Erkrankung war (das Alter bei Erstdiagnose liegt durchschnittlich bei ca. 70-75 Jahren). Und jetzt einfach so abwarten und nichts tun?
Aber genau das war der Plan.

… Fortsetzung folgt.