CLL: 3 Buchstaben, eine Diagnose – Teil II/III

2.2 Vergänglichkeit

Mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert zu werden, ist hart. Verstörend. Und es passt so gar nicht in ein scheinbar geordnetes Leben. Ich fühlte mich mit der CLL-Diagnose, als hinge auf einmal eine ominöse, dunkle Bedrohung über mir, die jederzeit zuschlagen und mir das Licht ausknipsen konnte. Ein Damoklesschwert.

Klar, ich hatte in meiner Krise und Verzweiflung keinen Sinn mehr in meinem Leben gesehen, wie es war. Aber mit dieser Diagnose war das drohende Ende auf einmal erschreckend real. Plötzlich war es weit mehr als nur ein depressives Szenario. Und das war mir auch nicht recht.

Außer den geschwollenen Lymphknoten am Hals zeigten sich weiterhin keine anderen Symptome oder Begleiterscheinungen. Das war einerseits natürlich gut. Andererseits machte es die CLL auch surreal. Wie konnte ich eine solche Krankheit in mir tragen und außer den dicken Dingern am Hals nichts davon bemerken? Und schon führte eins zum anderen: War es vielleicht doch eine Fehldiagnose? Was, wenn sich dieser Hämatologe jetzt auch in anderer Hinsicht irrte? Wenn diese CLL – falls ich sie tatsächlich haben sollte – doch nicht so gut zu behandeln war? Oder die Medikamente bei mir vielleicht nicht so wirkten, wie sie sollten? … Willkommen, Gedankenkarussell!

Aufgrund meines Binet-Stadiums A, dem ich zugeordnet worden war, sollte ich nach 6 Monaten zur Kontrolle kommen. 6 Monate mit so einer Diagnose herumlaufen und nichts tun können? Das machte mich schier verrückt. Das war mir zu lange. Ich ging deshalb bereits nach zwei Monaten zu meinem Hausarzt. Und tatsächlich: Die Leukozyten hatten zugenommen, andere Werte sich verschlechtert. Wenn auch nicht dramatisch. Trotzdem keine tollen Aussichten. Und ich kam mir vor wie ein Held auf seiner Reise, dem, den klaren Ausgang seines Abenteuers mit dem eigenen Ende vor Augen, trotzdem nichts anderes übrig bleibt, als Schild und Schwert zu nehmen und die dunklen Höhlen zu betreten …

Im November hatte ich dann den nächsten Untersuchungs- und Gesprächstermin in der hämatologischen Ambulanz des Klinikums in Heidelberg. Dieses Mal saß mir eine freundliche und zuhörende Ärztin gegenüber. Die nahm sich schon mal gefühlt mehr Zeit und beantwortete geduldig meine Fragen. Sie erklärte mir vor allem auch die Krankheit und ihre verschiedenen Behandlungsmethoden noch einmal genauer. Dabei wies sie auch darauf hin, welche immensen Fortschritte die Forschung in den vergangenen Jahren gerade bei der CLL-Behandlung gemacht hat: Anfangs war eine Knochenmarktransplantation die einzige Rettung. Aber längst waren Chemotherapie und Chemotherapie in Kombination mit Antikörpern (Immun-Chemotherapie) sowie neue Medikamente und zielgerichtete Therapien, die weitaus besser vertragen wurden als eine Chemotherapie, als weitere Behandlungsmöglichkeiten etabliert. Sie sagte, dass in meinem Fall vermutlich eine Therapie mit ibutrinip erfolgen würde. Ein Wirkstoff, der seit 2015/16 für die Erstlinientherapie der CLL zugelassen war.

Die Vorstellung, für den Rest meines Lebens Tabletten nehmen zu müssen, gefiel mir ganz und gar nicht. Ich bin eh kein Freund von Tabletten oder Medikamenten und gehöre ganz sicher nicht zu denjenigen, die beim ersten Halskratzen etwas einwerfen oder gleich Antibiotika o.Ä. nehmen. Aber die Hämatologen waren die Fachleute. Nicht ich mit meinem Halbwissen. Und in dem Moment beschloss ich, besser nichts mehr im Internet zu recherchieren.

Ich erfuhr bei diesem Termin auch, dass es gar nicht auf die konkrete Anzahl der Leukozyten allein ankommt, sondern auf die Dynamik, mit der sie sich vermehrten. Und natürlich noch um verschiedene weitere Werte, mit denen man die CLL und geeignete Behandlungsmöglichkeiten genauer bestimmen konnte. Das beruhigte mich ein wenig. Denn so blieb mir doch noch etwas Zeit. Auch wenn meine Leukos alles daran zu setzen schienen, sich fröhlich zu vermehren. Aber die Verdopplung innerhalb von 6 Monaten (einer der Indikatoren für den notwendigen Beginn einer Behandlung) schafften sie noch nicht.

So wurden in den folgenden Wochen die Laborwerte zum fixen Indikator, wann mich die Bedrohung überwältigen könnte. Ob es mir gut ging oder schlecht. Mir als Nicht-Mediziner erschlossen sich die verschiedenen Laborwerte und Richtgrößen im Blutbild nicht vollumfänglich. Also fokussierte ich mich hauptsächlich auf die Leukozyten und den HB-Wert: Wurde der erste Wert nicht zu hoch und der zweite nicht zu niedrig, war bzw. blieb alles erst einmal im Rahmen. Diese pragmatische Vereinfachung half dabei, mir nicht zu viele Gedanken zu machen.

Denn das von mir abverlangte Warten und Nichts-tun-Können fiel mir verdammt schwer. Einfach ‚normal‘ weiterleben und arbeiten, regelmäßig Blut untersuchen lassen und ansonsten nichts tun können… Gar nichts? – Das wollte mir schon seit dem ersten Termin nicht in den Kopf. Ich musste doch irgendetwas tun. Ich wollte irgendetwas tun!

Da ich selbst gerne koche, hatte ich mich schon während meiner Studienzeit mit dem Thema ‚gesunde Ernährung‘ und mit verschiedenen Ernährungstheorien und -ansätzen beschäftigt. Durch Bücher von Norman W. Walker, die ich kurz nach meiner Diagnose empfohlen bekommen hatte, kam ich nun auf die Idee, hier wieder anzusetzen. Warum setzte ich nicht einfach von der Ernährung her alles daran, dass der HB-Wert konstant blieb und die Anzahl der Leukozyten nicht durch die Decke ging?

Norman W. Walker war Mitbegründer der Natural-Hygiene-Bewegung in den Vereinigten Staaten, die Rohkost, Obst- und Gemüsesäfte als beste und gesündeste Ernährung für den Menschen ansehen. Auch an die Ansätze von Joe d’Adamo und seine »4 Blutgruppen – vier Strategien für ein gesundes Leben« erinnerte ich mich. Diese Theorie hatte schon früher Einfluss auf meinen Speiseplan gewonnen. Das alles zusammen führte schnell zu einem konkreten Plan: Versuche über die Ernährung alles Mögliche, um deinen Körper zu unterstützen und so zu stärken, damit noch lange keine Behandlung notwendig wird.

Leichter gedacht als getan. Ernährung hat Einfluss auf unseren Körper, das ist bekannt. Das Zitat »Du bist, was du isst« fasst das recht gut zusammen (es leitet sich wohl von der Aussage »der Mensch ist, was er isst« vom deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach ab, der im 19. Jh. lebte und wirkte). Besonders die schädigende Wirkung bestimmter Ernährungsweisen ist ja vielfach untersucht und diskutiert. Aber: Konnte im Umkehrschluss die Ernährung dann tatsächlich auch besonders positive und ‚heilende‘ Wirkungen haben? Ein Thema, zu dem es ebenfalls zahllose Bücher und Abhandlungen gibt. Aber zumindest ein Bereich, wo ICH etwas tun konnte. Wo ich aktiv werden konnte – oder es zumindest versuchen. Nicht mehr nur warten. Und darum ging es mir.

Ob das gelang, und was ich während der weiteren „Watch & Wait“-Phase – auch außerhalb meiner Ernährung – alles tat, folgt im nächsten Beitrag.

Lesetipps:

Dr. Peter J. D’Adamo, Catherine Whitney: 4 Blutgruppen – vier Strategien für ein gesundes Leben. Piper Taschenbuch, 20. Aufl. 2009.
ISBN 978-3-3492-22811-4

Dr. Norman W. Walker: Frische Frucht- und Gemüsesäfte. Vitalstroffreiche Drinks für Fitness und Gesundheit. Goldmann Taschenbuch, 29. Aufl. 1995. ISBN 978-3-442-13694-0

Dr. Norman W. Walker: Täglich frische Salate erhalten Ihre Gesundheit. Goldmann Taschenbuch, 14. Aufl. 2016.
ISBN 978-3-442-17603-8