19/02/22

CLL: 3 Buchstaben, eine Behandlung – Teil II/III

3.2 Infusionen (Obinutuzumab)

Den Kopf voll mit all jenen Dingen, die bei einer solchen Behandlung schiefgehen konnten, begann ich alles Mögliche zu regeln. Denn schließlich konnte die Behandlung nicht anschlagen, ich allergisch darauf reagieren, meine Nieren oder die Leber versagen uvm. So ordnete ich unter anderem alle Zugangsdaten meiner modernen Welt, regelte in der Agentur alles Notwendige und zog eine Kopie sämtlicher Texte und bisheriger Kompositionen auf eine externe Festplatte und gab sie Freundinnen. Für den Fall der Fälle …

Kurz vor Behandlungsbeginn bekam ich von diesen Freundinnen ein Freundschaftsarmband geschenkt. Mit einem Haizahn dran – damit ich dieser blöden Krankheit die Zähne zeigen konnte. Und mich nicht unterkriegen lasse. Ein kleines, aber tolles Geschenk, das mir viel Kraft gegeben und mich die gesamte Behandlungszeit über begleitet hat.

Mitte Juni 2020 war es so weit. Ich saß nervös in der Tagesklinik. Gleich morgens um 8:00 Uhr hatten sie mich einbestellt. Alles fremd. Alles neu. Fremde Menschen, fremde Gerüche, fremde Geräusche. Ein paar andere Patienten im Wartebereich, jeder mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt. Nur wenige in Begleitung. Niemand so jung wie ich.

Und dann das erste Mal der typische Ablauf: Anmeldung. Warten. Arztgespräch mit Fragen zu meinem Gesundheitszustand und einer letzten Aufklärung. Erneut im Wartebereich Platz nehmen. Zugang gelegt bekommen. Wieder warten. Bekomme ich einen Kaffee? – Aber natürlich. Einfach nehmen. Weiter warten. Und noch länger warten.

Als ich schließlich aufgerufen wurde, folgte ich mit einem ziemlich mulmigen Gefühl der Schwester und trat an den großen Behandlungsstuhl heran. Er war vom Vorgänger noch in Sitzposition eingestellt. Um mich herum: ruhige Betriebsamkeit. Ab und an ein Piepsen der Apparate, wenn Medikamente zu tauschen waren. Der Raum? Hell und großzügig bemessen. Und mit Blick auf viel Grün und auf andere Gebäudeflügel des Klinikums. An den Wänden standen die Behandlungsstühle, in der Mitte ein paar Tische mit normalen Stühlen. Auf den Tischen standen Wasserflaschen, Gläser und eine Schüssel mit frischem Obst. Freundliche Schwestern halfen mir, mich einzurichten, zeigten mir die Steuerung, um den Behandlungsstuhl in eine angenehme Position zu bringen, und fragten, ob ich eine Decke wollte.

Dann startete die Behandlung. Sie gaben mir Medikamente zur Beruhigung und ein Antiallergikum intravenös. Zur Vorbeugung. Es folgte eine erste Infusion – Kochsalzlösung, zum ‚Spülen‘. Das dauerte. Und dann kam irgendwann der Beutel mit der Obinutuzumab-Lösung dran. Wie ich später erfuhr, wird die Lösung immer erst nach dem Arztgespräch am Vormittag bestellt und in der Apotheke des Klinikums vorbereitet. Deshalb dauert das im Schnitt eine Stunde, bevor sie verfügbar ist.

Die Vorbehandlung versetzte mich in einen dämmrigen Zustand. Ich beobachtete das Hin und Her der Schwestern, sah, wie Patienten kamen und gingen, döste manchmal weg. An Lesen war nicht zu denken. An meinen Geschichten weiterarbeiten? Auch nicht. Und was wirklich lästig wurde – und zwar bei allen Behandlungen: Die Menge an Flüssigkeit, die in mich hineinfloss, wollte auch wieder heraus. Hinzu kam die Aufregung. Also drängte es mich im Laufe der Stunden, die ich dort verbrachte, einige Male auf die Toilette. Im Grunde kein Drama. Doch musste jedes Mal die Infusion am Ständer mit, was schlichtweg umständlich war und mit den metallenen Rädern bei jeder Unebenheit auf dem Boden einen metallisch-nervenden Lärm machte. Zudem benötigte es viel Zeit, da ich mich auf jede Bewegung wirklich konzentrieren musste und meine Sinne nicht mehr ganz beieinanderhatte.

Bei der ersten Obinutuzumab-Infusion war es dann auch auf dem Weg zur Toilette, als ich bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich bekam einen immer stärkeren Druck auf der Brust. Die Atmung fiel mir zunehmend schwerer, und mein Kopf fühlte sich auf einmal an, als würde er glühen – mit hellroten Ohrenlampen an den Seiten.

Zurück an meinem Platz, rief ich nach der Schwester. Sie sah mir schon an, dass es mir nicht gut ging, und holte die diensthabende Ärztin. Ich hatte inzwischen ziemliche Schwierigkeiten, mich zu artikulieren und in meinem stärker werdenden Dämmerzustand mich auf irgendetwas zu konzentrieren oder überhaupt zu reagieren. Mir wurde heißer und heißer. Gleichzeitig zitterte ich. Jedes Wort fiel mir schwer. Ich bekam mit, dass immer mehr Ärztinnen und Ärzte um mich herum auftauchten. Sie untersuchten mich, doch auf ihre Fragen konnte ich nur schleppend und mit größter Anstrengung antworten.

Sie stoppten die Infusion und gaben mir andere Mittel. Dann brachten sie mich auf die hämatologische Station, wo ich zwei Tage blieb. – Ich hatte tatsächlich auf die erste Gabe reagiert. Das komme vor, erklärte mir ein Arzt am nächsten Tag. Weil der Körper so viel zu bewältigen habe und zu Beginn dadurch Schwierigkeiten bekäme, wenn zu viele Zellen in kurzer Zeit abgebaut werden. Deshalb wurde die erste Gabe grundsätzlich aufgeteilt: zuerst eine 100ml-Dosis und dann noch einmal eine 900ml-Dosis am Folgetag. Die restliche Menge der ersten Dosis bekam ich gegen Abend noch langsamer dosiert. Und da lief dann alles glatt.

Am nächsten Tag bekam ich die zweite Teilgabe der ersten Behandlung (die 900 ml). Auch zunächst sehr langsam dosiert. So dauerte es Stunden, bis die Infusion verabreicht war. Obwohl sie die Durchtropfgeschwindigkeit nach und nach erhöhten. Denn dieses Mal reagierte mein Körper nicht darauf und es ging alles gut. Auch die Blutwerte waren so weit in Ordnung und die Entzündungswerte blieben im Rahmen. Also konnte ich wieder nach Hause.

Nach diesem ersten Schrecken vertrug ich die folgenden Infusionen zum Glück alle problemlos. So, wie die Ärzte es beschrieben hatten. Ich war allerdings – gerade in der Anfangszeit mit den wöchentlichen Infusionen – in einem Dauer-Müdigkeits-Zustand (Fatigue-Syndrom). Es ist eine der möglichen Nebenwirkungen der Behandlung. Und diese Erfahrung war schon ziemlich krass. Ich spürte, dass mein Körper zu kämpfen hatte und sämtliche Energien dafür brauchte. Jeder Termin in der Klinik, jede Treppe, ja, selbst ein paar Schritte um den Häuserblock bedeuteten auf einmal g,eine riesige Herausforderung, Kraftanstrengung, benötigten meine volle Konzentration – und viel Zeit.

Die extreme Müdigkeit dauerte einige Wochen. Auch zu den Kontrollterminen in der Hämatologischen Ambulanz, wo die Auswirkungen der Medikation engmaschig überprüft wurden, kam ich benebelt. An manchen Tagen hatte ich Angst, nie mehr aus diesem Zustand herauszukommen. Ob ich jemals wieder würde klar denken können – und Geschichten schreiben?

Nachdem der Turnus bei den Infusionen auf monatliche Termine gewechselt hatte, ging es deutlich besser. Der Kopf blieb die meisten Tage recht klar. Nur die zwei Tage nach der Infusion blieben schwierig. Die Behandlung packte meinen Kopf voll dämmender Watte und ließ mich ziemlich neben mir stehen. Pünktlich gegen Abend des zweiten Tages nach der Infusion löste sich der Dämmerzustand jedoch wieder auf und der Spuk war vorüber. Jedes Mal. Also galt nur eines: Durchhalten, der Müdigkeit nachgeben – und vor allem mit sich selbst geduldig sein.

Die Abläufe, Menschen und Gesichter in der Tagesklinik wurden mir von Mal zu Mal vertrauter. Für die Wartezeiten nahm ich mir Lektüren mit, die mir in meiner Situation weiterhalfen und mich daran hinderten, zu verzweifeln (dazu in späteren Blogbeiträgen mehr). Aber wirklich nur für die Warterei, denn danach war an Lesen nicht mehr zu denken. Nur noch an schlafen, schlafen, schlafen.

Ich machte aus der Not eine Tugend und ritualisierte meine Infusionstermine. Das half mir dabei, das alles viel entspannter anzugehen. Ich meldete mich an, suchte mir im Wartebereich einen Platz am Fenster, trank erst einmal einen Kaffee und nahm mir auch schon mal eine Flasche Wasser. Dann las ich, bis ich an der Reihe war. Die meiste Zeit während der Behandlung ruhte oder schlief ich dann. Was sollte ich auch anderes machen? Ich wurde zwischendurch manchmal wach, wenn die Schwestern Infusionen wechselten. Oder wenn es etwas zu Essen gab. Aber ansonsten: dösen und schlafen. Dadurch kam mir die Zeit auch nicht mehr so lange vor. Und das eine oder andere Mal mussten sie mich tatsächlich wecken, als ich fertig war und wieder nachhause durfte. Dann brauchte ich allerdings etwas, bis ich mich sortiert hatte und tatsächlich gehen konnte.

In diesem Zusammenhang noch ein Tipp: Taxiunternehmen für Krankenfahrten vorab buchen.

Da ich nicht immer jemanden hatte, der mich in die Klinik bringen oder abholen konnte, brauchte ich ein Taxi. Deshalb hatte ich mir im Vorfeld ein Unternehmen für die Krankenfahrten rausgesucht, denen ich meine Behandlungs- und Kontrolltermine nannte. Wir vereinbarten, dass ich mich melden sollte, sobald meine Behandlung fertig war. Anders ließ sich das nicht regeln. Aber es klappte immer prima. Und in meinem Zustand war es mir eh egal, ob es nun 5, 10 oder 20 Minuten dauerte, bis mich jemand abholte. Darauf kam es an den Behandlungstagen auch nicht mehr an. Ich hatte ja nichts anderes vor – und eh kein funktionierendes Zeitgefühl mehr.

Mit den Infusionen ging am Ende alles gut aus. Eine weitere Stufe der Behandlung begann mit den Venetoclax-Tabletten – doch davon im nächsten Beitrag mehr.